
Oft sind es Schock-Momente, die uns bewusst machen: Veränderungen sind möglich. Corona war ein solcher Moment. Er zeigte uns, dass wir auch mit weniger Mobilität gut leben. Und er brachte Bewegung in die Kulturszene – oder präziser: Er brachte zuerst Stillstand und dann Bewegung. Die Erkenntnisse daraus wollen wir nutzen. Damit aus dieser Bewegung etwas nachhaltig Neues entsteht – nämlich die Kulturpolitik 2.0.
Wenn Sie an die Corona-Zeit zurückdenken: Was kommt Ihnen dann als Erstes in den Sinn? Bei mir ist es die Erfahrung der Kulturpause. Kein Theater, kein Kino, keine Oper, kein Konzert, keine Lesung – nichts. Ich verhehle nicht: Bei vielen Corona-Massnahmen fiel mir das Einschänken nicht wirklich schwer. Aber unter dem kulturellen Stillstand habe ich gelitten.
Dabei bin ich mir natürlich meiner privilegierten Rolle bewusst. Anders als für die Kulturschaffenden und die Kulturveranstalter bedeutete dieser Stillstand für mich keine Bedrohung meiner wirtschaftlichen Existenz.
Dass er gleichwohl auch für uns Kulturkonsumentinnen und Konsumenten einschneidend war, zeigt vor allem, wie wichtig Kultur ist. Kultur regt uns zum Denken an. Sie bringt uns zum Lachen und rührt uns manchmal zu Tränen. Musik, Literatur, Tanz, Filme, Fotos…: Sie verhelfen uns zu einem neuen, oft überraschenden, ungewohnten Blick auf die Welt. Wir können als Menschen nicht ohne Kultur sein.
Kultur ist «systemrelevant»
Vor diesem Hintergrund hatte die Corona-Krise – neben vielen sehr schwierigen Momenten – auch ihr Gutes: Sie führte dazu, dass die Politik das kulturelle Leben hochoffiziell als «systemrelevant» erklärte.
Damit wurde es möglich, Kulturschaffende wie Kulturinstitutionen mit öffentlichen Mitteln wirkungsvoll zu unterstützen und so zu verhindern, dass sie ihre Existenzgrundlage verlieren.
Mit Blick auf die Kultur hatte Corona aber noch eine zweite Wirkung. Sie beschleunigte und verschärfte eine Entwicklung, die bereits seit einiger Zeit in Gang ist: nämlich die Veränderung unserer kulturellen Gewohnheiten.
Exemplarisch zeigt sich das daran, dass viele Kulturveranstaltungen nicht mehr über das Vor-Pandemie-Publikum verfügen. Einer von drei Besuchenden ist noch nicht ins kulturelle Leben zurückgekehrt – und wird möglicherweise nie mehr zurückkehren. Weil sie oder er die Gewohnheiten geändert hat. So gibt es zum Beispiel Leute, die grossen Gefallen daran gefunden haben, sich kulturelle Veranstaltungen zu Hause online als Stream anzusehen.
Dem Neuen zugewandt
Nun ist es nicht so, dass sich die Kulturschaffenden und die Kulturinstitutionen erst seit der Pandemie Gedanken über die Weiterentwicklung der kulturellen Angebote machen. Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen ist ja der Kernbestand des künstlerischen Schaffens. Kulturschaffende und -veranstaltenden sind geübt darin, sich dem Neuem zuzuwenden und sich selber immer wieder neu zu erfinden. Die Pandemie hat dieses Grundrauschen der Kulturszene aber akzentuiert.
Für uns – für meine Direktion und insbesondere für die Fachstelle Kultur mit ihren tollen Mitarbeitenden – ist das ein Auftrag. Der Kanton Zürich will und muss diesen Geist der Veränderung, Bewegung und Entwicklung auch in seiner Kulturförderung abbilden. Klar ist dabei erstens: Ein Zurück zum Zustand vor Corona gibt es nicht. Und zweitens: In den Kulturbetrieben und der Kulturförderung sind viele Ideen für die Zukunft da! Wir dürfen also alle neugierig auf das sein, was kommen wird.
Veränderungen rücken die Frage der Relevanz in den Vordergrund. Ist das, was gezeigt wird, einfach mehr vom selben oder berührt es uns effektiv? Ist es künstlerisch-kulturell eine Innovation? Ist es ein neuer Zugang und bietet es ein neues Erlebnis?
Die Kultur muss ihre eigene Arbeit und ihre eigenen Angebote immer wieder hinterfragen und neu denken. Der Kanton Zürich will die Kulturschaffenden und Kulturinstitutionen dabei verstärkt unterstützen. Getreu dem schönen Satz von Heraklit: «Nichts ist so beständig wie der Wandel.»
Transformation und Teilhabe
Deshalb wollen wir die Transformationsprojekte, mit denen wir noch in der Covid-Phase und mit Unterstützung des Bundes begonnen haben, fortsetzen und – nun nicht mehr mit Bundes- sondern mit eigenen Geldern – erweitern.
Es geht bei diesen Projekten darum, das Wirken von Kulturinstitutionen zu analysieren, gegebenenfalls neu auszurichten und es damit auf die geänderten Bedürfnisse des Publikums einzustellen. Die ersten Resultate aus den bereits laufenden Transformationsprojekten sind erfolgversprechend.
Dabei ist Transformation für mich untrennbar mit einem zweiten «T» verknüpft: mit Teilhabe. Wie gelingt es, dass möglichst alle Menschen Kultur konsumieren und mitgestalten können, zum Beispiel auch Menschen mit Beeinträchtigungen, etwa solche, die nicht gut sehen oder hören können? Ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine Sprache und einen Weg finden müssen, die uns zu neuen Kreisen führen und so das Publikum erweitern.
Alles zusammen ergibt dann unsere neue Kulturpolitik 2.0.
Ohne Mut keine Veränderung
Ein solcher Wandel verlangt von allen Beteiligten Mut – wie immer, wenn man etwas Neues wagt. Ohne Mut geschieht nichts. Ohne Mut bleibt alles gleich.
Ich bin überzeugt, dass sich unser Effort lohnen wird. Mein Ziel ist, dass wir im Kanton Zürich auch in Zukunft ein vielfältiges Kulturangebot haben, das uns Genuss und Unterhaltung, aber ebenso gesellschaftliche Auseinandersetzung und Orientierungshilfe bietet.
Darauf freue ich mich sehr – als Kulturministerin des Kantons Zürich, vor allem aber auch als Mensch, der sich kein Leben ohne Kultur vorstellen kann.
Bild: Nach der Corona-Zwangspause ist das kulturelle Leben wieder im Gang (Quelle: Pixabay)
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