
In St. Gallen hat am 1. Juni die neu gewählte Regierung losgelegt. Die Departemente haben die Regierungsmitglieder bereits vor vier Wochen verteilt – und das ganz ohne Theater und Versteckspiel. Ob wir das irgendwann auch in Zürich schaffen?
In diesen Tagen hat die neu gewählte St. Galler Kantonsregierung ihre Arbeit aufgenommen. Am 19. April besetzten die Wählerinnen und Wähler im zweiten Durchgang die beiden noch offenen Sitze. Zwei Wochen später versammelte sich das Gremium in der neuen Zusammensetzung zu seiner konstituierenden Sitzung – und trug das Ergebnis gleich im Anschluss daran an die Öffentlichkeit. Seither ist bekannt, wer welches Departement führen wird. Die Regierungsmitglieder selber erhalten so etwas Zeit zur Vorbereitung – eine Zeit, für die namentlich jene froh sind, die neu gewählt wurden oder eine neue Direktion übernehmen. Auch die Stäbe und überhaupt die Mitarbeitenden der Verwaltung sind dankbar einige Wochen Übergangszeit – diese ermöglichen ihnen, den Wechsel von der alten zur neuen Regierung seriös, gründlich und professionell zu organisieren.
Der Fall St. Gallen zeigt exemplarisch, wie eine Departements- oder Direktionsverteilung ablaufen soll: nämlich dem Ziel verpflichtet, schnell klare Verhältnisse zu schaffen. Die Öffentlichkeit möchte wissen, woran sie ist – in St. Gallen darf sie es auch wissen. Dieses Mal erfuhr sie sogar noch mehr als eigentlich vorgesehen war: Der Start der Medienkonferenz, die anschliessend an die Sitzung angesetzt worden war, verzögerte sich um über eine Stunde. Damit war allen klar: Die Verteilung gestaltete sich komplizierter als erwartet, sie verlief nicht in Minne und brauchte daher mehr Zeit als budgetiert.
Soviel Transparenz wie möglich
Ist es schlimm, wenn solche Internas öffentlich werden? Leidet darunter die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Gremium? In St. Gallen findet man offenbar: Nein. Indem die Medienorientierung direkt im Anschluss an die Sitzung angesetzt wurde, hat man das Risiko einer beredten Verzögerung bewusst in Kauf genommen. Man hätte ja auch einen Puffer einbauen können. Aber offenbar gilt in der Ostschweiz die Devise: Soviel Transparenz und so wenig Geheimniskrämerei wie möglich – auch wenn die Regierung damit kurzfristig eine suboptimale Schlagzeile à la «Noch nicht im Amt und schon verkracht» riskiert.
Längerfristig schadet eine solche Schlagzeile viel weniger als das Theater, welches in unserem Kanton bei diesen Gelegenheiten aufgeführt wird – ein Theater, welches nicht nur das Informations- und Transparenzbedürfnis der Bevölkerung geringschätzt. Hinzu kommt, dass es eine gut geplante und strukturierte Amtsübergabe verunmöglicht.
Der alte Zopf gehört weg
Bei uns im Kanton Zürich konstituiert sich die Regierung an einer Geheimsitzung kurz nach den Wahlen. Gegen aussen, auch gegenüber der Verwaltung, tun wir aber so, als sei noch alles offen und werde erst am Tag des Amtsantritts entschieden. Eine geordnete Amtsübergabe ist so nicht möglich. Und dem Gebot der Transparenz entsprechen wir auch nicht. Dass die Zürcher Art der Direktionsverteilung Ausfluss der Tradition ist, kann kein Argument für ihren Fortbestand sein. Der alte Zopf gehört weg.
Vor präzis einem Jahr erlaubte ich mir, dieses Anliegen an die Öffentlichkeit zu tragen (hier geht es zum Artikel) – es war ein Anliegen, das nicht auf ungeteilte Begeisterung stiess. Was nichts an meiner Überzeugung geändert hat, dass es richtig und wichtig ist.
«Zürich macht vorwärts»: Mein Motto ist so aktuell und gültig wie eh und je. Nichtsdestotrotz gibt es Fälle, wo unser Kanton nicht vorwärts machen will. Die Direktionsverteilung ist ein solcher Fall. Hier liegt Zürich hinter St. Gallen und den allermeisten anderen Kantonen zurück – und macht keine Anstalten, daran etwas zu ändern. Wie lange noch?
Bild: Die neu gewählte St. Galler Regierung mit Corona-Abstand (Quelle Kanton St. Gallen)
Transparenz hat zwei Aspekte. Im geschilderten Fall der Konstituierung ist sie ein Muss, alles andere (wie z.B. im Kanton Zürich) ist eine Veräppelung der Bevölkerung. Entscheide gehören an die Öffentlichkeit. Formal-rechtlich könnte eingewendet werden, dass das Gremium in der neuen Zusammensetzung vor Amtsantritt noch gar nicht beschlussfähig ist und alles noch umgestosse werden könnte. Was soll’s? Auch dann sorgt Transparenz für Vertrauen.
Nicht abgeschlossene Geschäfte gehören aber nicht an die Öffentlichkeit, es sei denn, die Behörde beschliesst, was und wie darüber informiert wird. Die in letzter Zeit immer mehr um sich greifende Praxis, dass nicht abgeschlossene Diskussionen auf Umwegen bekannt werden, dient nicht der Transparenz, sondern ist ein Machtspiel. Trotzdem sollen Politiker*innen ihre persönliche Meinung öffentlich kundtun. Dies mit dem Gebot der Vertraulichkeit fein abzustimmenist die Gabe von sensiblen und verantwortungsbewussten Behördemitgliedern.