Die Schweiz braucht einen neuen Nationalfeiertag – und zwar einen, der das Heute feiert: die demokratische, föderale Schweiz. Das kann nicht das Erinnern an Rütlischwur und Bundesbrief von 1291 sein, die beide mit der modernen Schweiz nichts zu tun haben. Unser Feiertag sollte der 12. September sein. Heute vor 175 Jahren entstand «unsere» Schweiz.
Der Blick in die Welt hat schon mehr Freude gemacht: Russland führt einen Angriffskrieg und hat die Demokratie faktisch abgeschafft. In der USA hat der Ex-Präsident per Verschwörung versucht, seine demokratisch besiegelte Abwahl zu hintertreiben – und will nächstes Jahr erneut nach der Macht greifen. Auch innerhalb der EU gibt es offen antidemokratische Kräfte – in Ungarn sind sie sogar an der Macht.
In solchen Zeiten sind selbstbewusste Bannerträgerinnen und -träger der Demokratie wichtiger denn je. Die Schweiz muss eine solche Bannerträgerin werden.
Muss werden??? Ich nehme den Einspruch gleich vorweg: Die Schweiz ist doch schon längst das Musterland der Demokratie!!! Nun, für ein Land, das den Frauen bis 1971 das Stimmrecht vorenthalten hatte (manche Kantone taten das sogar noch fast 20 Jahre länger), ist das ein ziemlich vermessenes Selbstbild. Auch dass wir fast einen Viertel der Wohnbevölkerung (nämlich alle niedergelassenen Menschen ohne Schweizerpass) von der Mitbestimmung ausschliessen, ist kein demokratisches Ruhmesblatt.
Es gibt also noch Potenzial: Die Schweiz braucht mehr Demokratie! Den Geist des Fortschritts, der den geradezu revolutionären Demokratiesprung von 1848 möglich gemacht hatte: Diesen Geist wünsche ich mir für unsere Gegenwart und unsere Zukunft. Er würde die Schweiz zu dem machen, was sie gerne wäre: zum Leuchtturm der Demokratie.
Um diese Mission unseres Landes auf der grossen politischen Bühne zu unterstreichen, eignet sich die Besinnung auf den heutigen Feiertag perfekt. Heute vor 175 Jahren entstand die moderne demokratische Schweiz, nämlich unser Bundesstaat.
Happy Birthday!
Nicht zwei Feiertage. Einer reicht!
Und so möchte ich an diesem denkwürdigen Tag eine Idee aufgreifen, die zwar nicht neu ist und in diesen Tagen auch schon andernorts Thema war, die aber unbedingt Support verdient: Der 12. September soll unser neuer Nationalfeiertag werden! Ein Feiertag für die Demokratie und für Zukunftsmut!
Im Nationalrat hatte sich im Mai eher überraschend eine Mehrheit dafür ausgesprochen, den 12. September neben dem 1. August als zweiten Nationalfeiertag einzuführen. Der Ständerat wird diesen Vorstoss aller Voraussicht nach demnächst ablehnen.
Ich lehne ihn auch ab: Wir brauchen nicht zwei Nationalfeiertage. Einer reicht: Der 12. September soll es künftig sein. Und der 1. August soll stattdessen zum regionalen Gedenktag der Urkantone werden.
Man mag einwenden, dass dies nur eine sinnbildliche Bekräftigung unserer demokratischen Tradition und damit reine Symbolpolitik wäre. Stimmt. Nur steht oft am Anfang einer wichtigen Entwicklung ein symbolischer Akt. Eine Rede zum 12. September im Gedenken an die Geburt der modernen Schweiz hätte jedenfalls eine ganz andere Kraft als das ewige Abarbeiten an der Schiller’schen Heldensage.
Demokratie und Kultur
Der 12. September als Nationalfeiertag wäre ein Booster für eine leidenschaftliche Diskussion über demokratische Innovationen und lustvolle Wege der republikanischen Weiterentwicklung.
Denn der 12. September steht für vieles, was die moderne Schweiz ausmacht. Der 1. August steht dagegen für alles, was die moderne Schweiz nicht ausmacht.
Der 12. September steht zunächst und vor allem für «unsere» Schweiz, also für die demokratisch verfasste, föderale Schweiz. Der 1. August steht dagegen für die dunkle Zeit der brachialen, oligarchischen Männerbünde, in der das Recht des Stärkeren die gültige Währung war.
Der 12. September steht für Kultur. Er steht für einen intellektuellen und gesellschaftlichen Kraftakt, der seinesgleichen sucht. Dass es gelungen war, für das konfessionell zerrissene Land einen Rahmen zu finden, in dem ein Neubeginn als Bundestaat möglich war: Das war eine Leistung, die man nicht hoch genug schätzen kann – der Tagi hat die turbulente Geburt der modernen Schweiz jüngst faszinierend nachgezeichnet.
Dagegen war die 1291er-Eidgenossenschaft, die wir am 1. August feiern, kein Zentrum der Kultur. Niklaus Meienberg sagte es so: «Nie eine Kathedrale gebaut, kein Walthari-Lied gedichtet, kein Salve Regina, aber immer führend im Viehhandel und Rauf-Händeln.»
Gefragt: eine visionäre Politik
Der 1.-August-Nationalfeiertag ist eine Erfindung des späten 19. Jahrhunderts. Es ging darum, eine Gründungserzählung zu finden, die das Land verbindet – und zwar das ganze Land. Denn die Schweiz war auch 50 Jahre nach der Bundesstaatsgründung noch konfessionell gespalten.
Schon die Einführung des 1. Augusts – man feierte ihn erstmals 1891 – war also ein symbolischer Akt, von dessen Ausstrahlung man sich eine reale Wirkung erhoffte, nämlich eine integrative Kraft, die zu einem besseren Zusammenhalt führen sollte. Die Rechnung ging auf.
Heute haben wir andere Probleme als die konfessionellen Differenzen. Und andere Probleme erfordern andere Symbole.
Etwas allerdings brauchen wir wie damals: politisches Personal, das den Blick mutig und visionär nach vorne richtet und das Vergangene hinter sich lassen kann. Der 1. August war die Antwort auf die damalige Zeit. Der 12. September ist die Antwort auf die heutigen Herausforderungen.
Heute ehren wir die Gründerväter unserer Schweiz. Tun wir das nicht in billiger Verklärung. Tun wir das, indem wir ihr Wirken auf die heutige Zeit übertragen. Machen wir den 12. September zum neuen Nationalfeiertag – im Zeichen und im Namen der Demokratie. Es lebe der 12. September!
Bild: Ein Feuerwerk für den 12. September! (Quelle: PD)
Jose Antonio Gordillo Martorell schrieb
Ich denke, das ist eine brillante, mutige und notwendige Überlegung. Die beste Art und Weise, zur Demokratie beizutragen, besteht darin, sie zu feiern und sie als authentisches Zeichen der persönlichen und kollektiven Identität zu empfinden. Demokratie leben, nicht nur an der Demokratie teilnehmen. Sie stärker zu machen, mit höherer Qualität, mit größerer Ausstrahlung, mit tieferen Wurzeln für alle und in allen Lebensbereichen. Und zwar so, dass jeder spürt, dass er dazugehört und dass sein Beitrag für das Erreichen dieses Ziels wesentlich ist.
Jose Antonio Gordillo Martorell schrieb
Wie werden sich zum Beispiel die Gen-AI und der Klimanotstand auf die Demokratie und die Art und Weise, wie Politik gemacht wird, auswirken?
Monika schrieb
Schaffhausen 1501. Ich stamme von einem Italiener ab, der half die Stadt aufzubauen. Und von einem Luxenburger der half in der Kammgarn mitzuarbeiten. Was würden wir ohne Ausländer machen.