Fussballer der französischen Nationalmannschaft warnen öffentlich davor, das rechtsextreme Rassemblement National zu wählen. Dürfen sie das? Aber natürlich! Je mehr Menschen sich mitverantwortlich dafür fühlen, wie sich ihre Heimat entwickelt, je mehr Menschen sich beteiligen, einmischen und einschalten – umso besser!
Frankreich steht in diesen Tagen sozusagen vor einem doppelten Final: Heute Abend spielen «Les Bleus» ihren Viertelfinal gegen Portugal – also die Koundés, Kantés, Mbappés, Dembélés und ihre Kollegen aus der französischen Nationalmannschaft.
Am Sonntag folgt Teil zwei, dieser ist dann allerdings kein Viertelfinal, sondern ein komplettes, nämlich das Endspiel der vorgezogenen Parlamentswahlen, von denen niemand weiss, wie genau sie herauskommen werden.
Sicher ist: Das rechtsextreme Rassemblement National wird stark abschneiden. Das ist seit den Europawahlen und dem ersten Wahlgang vom letzten Sonntag klar. Offen ist, mit wie vielen Sitzen die Lepenisten schlussendlich ins Parlament einziehen. Erringen sie die absolute Mehrheit? Das wird sich nach dem zweiten Wahlgang vom Sonntag zeigen. Und davon hängt ab, wie stark das Rassemblement in der politischen Realität sein wird.
«Faire barrage»
Es geht also um viel. Es geht darum, ob in einem der wichtigsten Länder Europas künftig eine Partei das Sagen hat, die der EU dezidiert ablehnend begegnet und eingewanderten Menschen das Leben schwer machen will. .
Und deshalb – weil es um so viel geht und weil die potenziellen Folgen dieser Wahlen weitreichend sein könnten – vermischen sich die beiden Finalspiele: das Viertelfinale in Hamburg mit 22 Mitspielern und das Finale zwischen Calais und Marseille mit 50 Millionen eingeschriebener Wählerinnen und Wähler.
Die Vermischung geht so, dass mehrere Spieler der französischen Fussballnationalmannschaft sich mehr oder weniger deutlich zum politischen Geschehen in ihrer Heimat geäussert haben. Aufgestanden sind Spieler, die zur Mehrheit der Mannschaft gehören – nämlich zu den Spielern mit dunkler Hautfarbe. Einige – Kylian Mbappé, Marcus Thuram oder jüngst Jules Koundé – haben dabei ausdrücklich und nachdrücklich vor dem Rassemblement gewarnt und dazu aufgerufen, andere Parteien zu wählen. «Faire barrage» lautet Koundés Formulierung, was so viel heisst wie bremsen, stoppen oder einen Riegel schieben.
Demokratien leben vom Einmischen
Sollen sich Sportlerinnen und Sportler in politische Auseinandersetzungen einmischen? Ist es richtig, wenn Fussballer politisch Stellung beziehen – dazu noch solche, die für die Nationalmannschaft spielen und damit so etwas wie überparteiliche Repräsentanten ihres Landes sind?
Selbstverständlich sollen sie sich einmischen!
Demokratien leben vom Einmischen! Also davon, dass sich möglichst viele Stimmberechtigte mitverantwortlich fühlen für die Entwicklung ihrer Heimat und sich deshalb an Wahlen und Abstimmungen beteiligen. Frankreich hat für diesen Typ des engagierten Stimmberechtigten sogar ein eigenes Wort: die Rede ist von der «Citoyenne» oder vom «Citoyen». Also von einer Staatsbürgerin oder einem Staatsbürger, die oder der sich im Geist der Aufklärung als Teil des Gemeinwesens fühlt und dieses mitgestalten will.
Je mehr Menschen mitgestalten und sich beteiligen wollen, umso besser. Ein erfolgreiches Team – das gilt für den Fussball genauso wie für die Gesellschaft als Ganze – braucht alle. Ein wirkliches Miteinander funktioniert dann, wenn ein «Team» divers, vielfältig und breit aufgestellt ist – was ja im übrigen auch für «unsere» Schweizer Nati gilt.
Kylian Mbappé, Taylor Swift, Gölä…
Dass man seine Meinung nach aussen trägt und sich an öffentlichen Diskussionen beteiligt: Das gehört zum Selbstverständnis dieser Citoyens und Citoyennes. Natürlich ist es dabei so, dass es solche gibt, die mit ihrer Meinung mehr Gehör finden als andere. Prominenz ist ein Verstärker und war schon immer ein Verstärker – davon profitieren aber nicht nur erfolgreiche Sportlerinnen oder angesehene Kulturschaffende. Davon profitieren ebenso wir Politikerinnen und Politiker. Auch für uns gilt: Je bekannter jemand ist, umso leichter kann sie oder er die Botschaften verbreiten.
Mir gefällt es, wenn sich Kylian Mbappé gegen das Rassemblement National oder Taylor Swift für die Rechte von Frauen und für LGBTQ-Anliegen einsetzen. Natürlich gefällt es mir auch deshalb, weil ich ihre Ansichten teile und weil ich es wichtig finde, dass diese breit zur Sprache kommen.
Aber: Ich begrüsse es auch, wenn Bürgerinnen und Bürger, ob prominent oder nicht, sich für Positionen einsetzen, die ich nicht teile (versteht sich von selbst: so lange sich diese Positionen im Rahmen des demokratischen Diskurses befinden). Es gibt nichts dagegen einzuwenden, wenn Gölä auf der Bühne sagt, was er denkt.
Denn eben: Ein Gemeinwesen lebt von der Beteiligung aller, Minderheiten und Mehrheiten, Jugendlichen und Seniorinnen, Menschen unterschiedlichen Geschlechts, unterschiedlicher Gesinnung und verschiedener Herkunft. Unsere Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass sich möglichst viele Menschen mitverantwortlich fühlen – heissen sie nun Anna Müller, Milos Stojanovic oder Kylian Mbappé.
Foto: Sturmtief über Paris – auf dem Bild meteorologisch, aktuell auch politisch (Quelle PD)
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