Eine Untersuchung der sexuellen Missbräuche in der katholischen Kirche hat zu erschütternde Ergebnissen geführt. Diese sind eine Verpflichtung – für die Obrigkeit der katholischen Kirche und ebenso für den Staat. Es braucht zwingend eine strafrechtliche Untersuchung der Missbräuche. Nur so kann die Kirche wieder das sein, was sie sein soll und sein muss: ein guter, sicherer Ort für gläubige Menschen.
Die Studie der Uni Zürich fasst das Ausmass des sexuellen Missbrauchs innerhalb der katholischen Kirche in Zahlen: Sie stellt über 1000 Fälle seit 1950 fest. Diese Fälle seien jedoch erst die Spitze des Eisbergs, heisst es aus dem Kreis der Fachleute.
Jeder dieser Fälle ist tragisch und prägt ein ganzes Leben negativ. Bei der katholischen Kirche kommt als Besonderheit hinzu, dass offenbar ein systemisches Problem vorliegt. Die katholische Kirche als geschlossenes Machtsystem mit einer menschenfeindlichen Sexualmoral begünstigt solche Fälle – anders ist nicht zu erklären, dass es gerade in dieser Kirche konstant über Jahrzehnte zu Missbräuchen kam.
Der Staat hat eine Schutzpflicht, wenn es um die physische und psychische Integrität geht. Er muss alles Mögliche und Angemessene tun, um Verletzungen zu vermeiden – natürlich ganz besonders, wenn es um Verbrechen wie den sexuellen Missbrauch von Kindern geht. Der Staat hat eine Verantwortung – und auch ich habe sie als zuständige Regierungsrätin. Deshalb engagiere ich mich auf verschiedenen Ebenen, damit wir Kirchen haben, wo solches nicht länger vorkommt.
Staatliches Recht geht vor
Kirchen müssen ein guter Ort für gläubige Menschen sein. Ein Ort, an dem sie sicher sind und sich aufgehoben fühlen. Gute Kirchen sind wichtig für ihre Mitglieder. Und sie sind wichtig für die gesamte Gesellschaft. Sie kümmern sich um unsere Existenz ausserhalb unseres Verstandes und jenseits der fassbaren Welt. Ob gläubig oder nicht: Die Frage, woher wir kommen und wohin wir gehen, treibt uns immer wieder um. Die einen beim Blick in die Unendlichkeit des Sternenhimmels, die anderen am offenen Grab der verstorbenen Grossmutter.
Was müssen wir tun, damit die Obrigkeit der katholischen Kirche diesmal wirklich handelt?
Wir müssen Klarheit über den Vorrang des staatlichen Rechts schaffen.
Das heisst erstens: Bischöfe und Priester sind für das staatliche Recht ganz normale Menschen. Sie haben sich an alle Gesetze zu halten. Dazu gehört, dass sie keine Strafuntersuchungen behindern dürfen, indem sie beispielsweise Akten vernichten oder wegsperren.
Und zweitens: Wir brauchen keine kircheninterne Gerichtsbarkeit für Straffälle oder Personalkonflikte. Ich betrachte diese als Pseudo-Gerichtsbarkeit, weil die Kirche keine Gewaltenteilung kennt und die Verfahren den rechtsstaatlichen Prinzipien spotten.
Drittens müssen die Aufarbeitungen und Untersuchungen koordiniert und fachlich solide durchgeführt werden.
Im Fall der Missbräuche wurde Bischof Joseph Maria Bonnemain vom Papst beauftragt, eine Untersuchung gegen vier Mitglieder der Bischofskonferenz durchzuführen, die im Verdacht stehen, Missbrauchsfälle vertuscht zu haben oder – in einem Fall – sogar selbst solche begangen zu haben. Dieses Vorgehen ist eine Überforderung. Menschlich und fachlich. Gezwungen sein, gegen die eigenen Kollegen zu ermitteln?
Zudem: Katholische Geistliche sind nicht ausgebildet, solche Untersuchungen durchzuführen. Sie haben Kompetenzen und Erfahrungen in den Bereichen Theologie und Seelsorge – Strafverfolger sind sie nicht.
Im Interesse der Kirchen
Es braucht nun verschiedene Massnahmen auf staatlicher, staatskirchlicher und geistlicher Ebene. An dieser Stelle seien zwei erwähnt.
Wir brauchen eine strafrechtliche Untersuchung der Missbräuche und der Umstände. Dazu habe ich dem Chef der Zürcher Staatsanwaltschaft den Auftrag gegeben, zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen der anderen Kantone einen Vorgehensvorschlag zu machen.
Und wir brauchen interne Organisationsgesetze, die rechtsstaatlichen Prinzipien genügen. Im Zentrum stehen das Personalrecht und die Frage der Dokumente und Archive. Hier sind die staatskirchlichen Gremien gefordert.
Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Massnahmen im Interesse der Kirche sind. Die Kirche muss aufräumen mit den Missständen, und zwar rigoros. Damit sie wieder zum guten und sicheren Ort für Gläubige wird. Als Staat werden wir unseren Teil dazu beitragen.
Foto: Mehr Licht! Es braucht eine strafrechtliche Untersuchung der Missbräuche. (Quelle: PD)
Elke Kreiselmeyer schrieb
Und wie sieht es mit unserem verfassungsmässigem Recht auf Gleichberechtigung aus? Die römisch-katholische Kirche hält das letzte Berufsverbot für Frauen aufrecht.