Heute ist nationaler Flüchtlingstag – ein wichtiger Tag, weil er Begegnungen ermöglicht. Noch wichtiger ist allerdings, dass der Austausch nicht nur an besonderen Tagen, sondern ebenso im Alltag geschieht. Weil sich damit auf einfache Weise die soziale Teilhabe fördern lässt. Der Kanton Zürich hat deshalb ein Tandemprojekt gestartet: lokale Freiwillige unterstützen geflüchtete Menschen, an ihrem Wohnort anzukommen.
Haben Sie sich schon einmal vorgestellt, wie es ist, ganz neu anzufangen? An einem unbekannten Ort, ohne Freunde und Bekannte, ohne Arbeit und Wohnung und vielleicht auch ohne Familie? Für Flüchtlinge, die neu in der Schweiz angekommen sind, ist das der Normalfall.
Flüchtlinge geben alles auf und brechen ins Ungewisse auf. In der Hoffnung auf Sicherheit und ein besseres Leben. Ich habe grossen Respekt vor diesen Menschen und ihren Biografien. Und wenn ich dann sehe, mit welchem Durchhaltewillen und welcher Offenheit sie sich am neuen Ort zu orientieren, zu organisieren, sich einzuleben und, ja: zu integrieren versuchen – dann beeindruckt mich das sehr.
Sehr viel einfacher geht dieser anspruchsvolle Prozess mit der Unterstützung des neuen Umfelds. Und da kommen wir als «aufnehmende» Gesellschaft ins Spiel.
Teilhabe im Alltag
Haben Sie mal darüber nachgedacht, warum die Integration in der Schweiz so gut klappt? Ich bin überzeugt: Unter anderem deshalb, weil wir diese Menschen an unserem Alltag teilhaben lassen. Es gibt keine Ghettos in der Schweiz, es gibt keine Schichten oder Milieus, die sich abschotten und jeder Durchmischung widersetzen. Natürlich gibt es Brennpunkte, natürlich ist die Diversität in Städten grösser. Aber: Kein Dorf in der Schweiz, das nicht schon eine Flüchtlingsfamilie aufgenommen hätte.
Der Schlüssel ist die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen. Es braucht diese Bereitschaft auf beiden Seiten, auf der ankommenden wie auf der aufnehmenden Seite. Dass diese Bereitschaft bei uns lebendig ist, zeigt sich im Umstand, dass sie sich ganz unspektakulär im Alltag manifestiert: Die Nachbarin, die der syrischen Geflüchteten beim Übersetzen der Post aus der Schule hilft. Der Bekannte, der den Nachbarn aus Eritrea beim Bewerbungen-Schreiben unterstützt. Der Fussballtrainer, der die Kinder völlig unterschiedlichster Herkunft zusammen trainiert.
Ich glaube fest, dass diese Art des Austauschs und des Begegnens die soziale Teilhabe der von neu angekommenen Menschen nachhaltig zu unterstützen vermag. Deshalb wollen wir sie gezielt fördern.
Zusammen geht’s leichter
Unsere Fachstelle Integration hat diesen Monat gemeinsam mit fünf Partnerorganisationen ein sogenanntes Tandemprogramm gestartet. Es funktioniert ganz einfach: Ortsansässige Freiwillige unterstützen geflüchtete Menschen dabei, in ihrer Wohngemeinde anzukommen und sich in der neuen Lebenswelt zurechtzufinden. Durch den Kontakt und den Austausch mit ihrem Tandempartner oder ihrer Tandempartnerin lernen Geflüchtete leichter Deutsch, knüpfen schneller Kontakte zur Bevölkerung und finden sich schnell in der Umgebung und ihrer Gemeinde zurecht.
Das Programm findet in fünf Regionen statt. Für jede Region ist eine kompetente und erfahrene Organisation verantwortlich. Für die Region Zürich die AOZ/Fachstelle Freiwilligenarbeit, für Andelfingen und Winterthur das Schweizerische Rote Kreuz Kanton Zürich, für Bülach und Dielsdorf der Verein prointegration und für die Region Hinwil, Meilen, Pfäffikon und Uster die reformierte Kirche zusammen mit Caritas Zürich im Auftrag der katholischen Kirche. Und für die Region Affoltern, Dietikon, Horgen ist es der Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen; im Bezirk Affoltern in Kooperation mit dem ÄMTLER TANDEM.
Das Engagement der Landeskirchen für geflüchtete Menschen hat eine lange Tradition und ist wichtig: Ohne dieses Engagement wäre vieles nicht möglich. Darüber sind wir als Staat sehr froh und dankbar. Genauso wichtig und erfolgreich ist die Zusammenarbeit mit den anderen nicht-staatlichen Organisationen: sie ergänzen den Staat, sind oft näher dran an den Menschen und Bedürfnissen und leisten wichtige und notwendige Unterstützung.
Die Partnerschaft mit dem Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen (VSJF) zeigt uns noch etwas Anderes beispielhaft: Dass wir in der Schweiz eine lange Tradition der gesellschaftlichen Solidarität über alle Grenzen hinweg pflegen. Und bringt noch etwas Zweites zum Ausdruck: Dass der interreligiöse Austausch und die interreligiöse Unterstützung gelebt werden – und zwar ganz selbstverständlich im Alltag. Die Präsidentin des VSJF, Gabrielle Rosenstein, hat mir erzählt, dass es für sie als Vertreterin der jüdischen Gemeinschaft mit vielen traumatischen Fluchtbiografien eine solidarische und vornehme Aufgabe sei, hier und jetzt den Geflüchteten – darunter viele Musliminnen und Muslime – beizustehen.
Das ist gelebte soziale Teilhabe. Machen Sie mit? Wo Sie sich melden können, um als Freiwillige oder Freiwilliger im Tandemprojekt mitzumachen, sehen Sie hier.
Bild aus der Broschüre “Willkommen im Kanton Zürich” der Fachstelle Integration des Kantons Zürich, Fotograf: Lucas Ziegler
Rangun89 schrieb
Sehr spannender Artikel. So ein Umzug in ein unbekanntes Gebiet ist sicher schwer und sehr nachvollziehen. Viele Grüsse aus Kriens