
Die Schweiz und ihre Einbürgerungspolitik – das ist eine wechselvolle Geschichte. Vor 108 Jahren schlug eine Expertenkommission des Bundes vor: Einbürgern obligatorisch!
Es war im Jahr 1912, als der Zürcher Stadtschreiber Rudolf Bollinger in seiner Funktion als Vorsitzender einer Expertenkommission des Bundes vorschlug: «Um die drohende Überfremdung zu steuern, muss das Radikalmittel der obligatorischen Einbürgerung eingeführt werden.» – danke übrigens an @gieri_cavelty vom «Sonntagsblick», der uns an diese hübsche Begebenheit erinnert.
Ein solches Obligatorium fordert heute nicht einmal die Juso. Logisch. Zwang passt nicht zur heutigen Zeit. Weder für Links noch für Rechts. Zumal das Bürgerrecht unsere Identität und unser Selbstverständnis stark prägt. Und bei solch persönlichen Entscheiden hat der Staat uns nichts vorzuschreiben.
Aber er hat auch keine unnötigen Hürden aufzubauen. Den am Bürgerecht Interessierten die Hand entgegenstrecken – das dürfte der Staat schon. Und das müsste er auch. Er selber würde davon sehr profitieren. Aber der Reihe nach.
Heute schreibt der Bund vor, dass man 10 Jahre die Niederlassungsbewilligung C haben muss, um überhaupt einen Antrag auf den Schweizer Pass stellen zu können! Kein Wunder bewegt sich die Schweiz mit dieser hohen Hürde im innereuropäischen Vergleich im hinteren Mittelfeld, was Einbürgerungen pro 100 ansässige Ausländer angeht. Während sich in Kroatien 9,2 von 100 einbürgern lassen, sind es in der Schweiz gerade mal 2,1.
Das hat Folgen: In der Stadt Zürich ist nur noch rund die Hälfte der 30- bis 39-Jährigen Schweizerin oder Schweizer und damit stimmberechtigt. Und in den letzten kantonalen Wahlen haben beispielsweise in Opfikon nur gerade 9,2 Prozent der Bevölkerung mitbestimmt, wer im Kanton Zürich künftig Gesetze macht und regiert.
Dabei ist durch Studien klar belegt: Eine Einbürgerung beschleunigt die Integration, eingebürgerte Personen sind besser in den Arbeitsmarkt integriert und weniger von staatlicher Unterstützung abhängig als nicht eingebürgerte Personen mit vergleichbarem Migrationshintergrund. Und Einbürgerungen stärken die Demokratie.
Vom Volk gewählt? Eine Fiktion!
Obwohl der Staat also erwiesenermassen von Einbürgerungen profitiert, gibt es immer noch viele Stimmen, die das Bürgerrecht quasi als Gnadenakt sehen. Hätte das Bundesgericht 2003 nicht klargemacht, dass reine Willkür verboten ist, wären die demütigenden Gemeindeversammlungen heute wohl nach wie vor die Norm. Wie falsch!
Im Kanton Zürich hat der Regierungsrat ein neues Bürgerrechtsgesetz erarbeitet. Um die Vorgaben des Bundes kommen wir nicht herum. Aber wir haben sie wenigstens nicht noch verschärft. Schliesslich sind wir ein Einwanderungskanton, der von seiner Internationalität seit Jahrhunderten profitiert.
Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Die demokratische Zeitbombe tickt. Das Bundesamt für Statistik hat dieser Tage prophezeit, dass der dynamische Kanton Zürich weiterwächst. Wir können es uns vorstellen: Nicht nur Menschen mit Namen Meier, Müller und Fehr werden für diesen Zuwachs verantwortlich sein.
2050 wird ohne aktive Einbürgerungspolitik ein Drittel der Bevölkerung keinen Schweizerpass haben. Die Fiktion, wir seien «vom Volk gewählt», ist spätestens dann nur noch ein schlechter Witz.
Ob wir nicht doch über die obligatorische Einbürgerungen nachdenken sollten?
Bild: Das Bürgerrecht als Gnadenakt? Wie falsch! (Quelle: Pixabay)
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