
In der Zürcher Religionslandschaft trägt sich Historisches zu. Die grossen Player auf dem Platz unterstützen die kleinen – und schaffen Raum für ein friedliches Zusammenleben. Warum ich überzeugt bin, dass wir hier Geschichte schreiben.
Stellen wir uns kurz vor: Der FC Zürich beschliesst, dem finanziell klammen FC Winterthur unter die Arme zu greifen und ihn mit einem namhaften jährlichen Beitrag zu unterstützen. Ziel: Der kleine Club kann seine Strukturen professionalisieren, ein paar richtig gute Spieler einkaufen – und damit leistungsstärker werden. Der FC Zürich sorgt damit also dafür, dass einer seiner Konkurrenten stärker wird. Und er sorgt auch dafür, dass das Niveau der Fussball-Liga steigt. Weil das für die ganze Liga von Vorteil und für die Zuschauenden attraktiver ist.
Unvorstellbar, nicht?
Genau solches trägt sich aber auf einem anderen Spielfeld zu: in der Zürcher Religionslandschaft.
Ein starkes Zeichen
Der Kantonsrat hat diesen Montag den Rahmenkredit von 300 Millionen Franken für die anerkannten Zürcher Religionsgemeinschaften für die Zeit von 2026 bis 2031 bewilligt. Es ist ein Beitrag an diejenigen Tätigkeiten der Religionsgemeinschaften, die sie für die ganze Gesellschaft erbringen: Zum Beispiel für Seelsorge oder Jugendarbeit, für Mittagstische für Senior:innen oder für Angebote, die Menschen am Rande unserer Gesellschaft zugutekommen.
Von diesem Beitrag nun wollen die reformierte und die katholische Körperschaft jährlich je eine Million für die Unterstützung von nicht anerkannten Religionsgemeinschaften einsetzen. Sie haben das in ihren Tätigkeitsprogrammen so ausgewiesen.
Unterstützen wollen sie mit diesem Beitrag Tätigkeiten von nicht anerkannten Religionsgemeinschaften im Kanton Zürich, die allen zugutekommen. Also beispielsweise die muslimische Seelsorge in Spitälern oder die christlich-orthodoxe Seelsorge in Gefängnissen. Daneben wollen sie die Strukturen dieser Gemeinschaften stärken, zum Beispiel die Organisation eines Verbandssekretariats.
Ich werde noch ein bisschen deutlicher: Die beiden Zürcher Kirchen sorgen also mit der Weitergabe eines Teils ihrer Gelder dafür, dass eine andere Religionsgemeinschaft mit einem anderen Glauben stärker wird. Damit diese noch besser Gutes tun und zum Gemeinwohl der Zürcher Gesellschaft beitragen kann.
Ein unglaublich starkes Zeichen – und nah bei der Fussball-Analogie von oben, die so kaum je passieren würde.
Und ein historischer Entscheid
Was am Montag im Kantonsrat möglich wurde, ist ein Entscheid von historischem Ausmass. Und ich finde, er müsste global Schule machen.
Die Weltenlage war schon erfreulicher. In unseren Nachbarländern erstarken rechtsextreme, populistische und nationalistische Kräfte. Politische Gegner sind kaum mehr in der Lage, miteinander zu reden. Geschweige denn, zusammen politische Lösungen für gesellschaftliche Probleme auszuarbeiten. Das mächtigste Amt der Welt wird von einem Mann bekleidet, der einer der am längsten andauernden und schwierigsten (Religions-)konflikte der Welt damit lösen will, die betroffenen Menschen wegzukarren, sich Eigentum übers Land zu verschaffen und dort die «Riviera des Ostens» zu bauen…
Was tun?
Wir müssen eine Alternative des friedlichen Zusammenlebens schaffen. Einen Raum, wo Dialog, Austausch und gemeinsame Erfahrungen möglich sind. Wo wir merken: Bei allen Unterschieden – es gibt gemeinsame Ziele, gemeinsame Wünsche und gemeinsame Träume. Wo wir erfahren: Zusammen statt gegeneinander geht es besser. Seit ich Religionspolitik mache in diesem Kanton, verfolge ich diesen Weg mit Überzeugung.
Auch der Kantonsrat hat sich dafür ausgesprochen: Er stützt die Absicht der Kirchen, Andersgläubige zu unterstützen. Er steht ein für die Alternative: Fürs Gemeinsame, für den Dialog anstelle von Hass und Vorurteilen, und für den Ausbau des Erfahrungsraums des friedlichen Zusammenlebens der Religionen.
Und diesen Weg gehen die Zürcher Kirchen schon seit längerer Zeit: Sie schaffen Raum für interreligiösen Dialog, für interreligiöse Zusammenarbeit und Unterstützung. Ja, auch finanzielle. Sie zeigen uns damit eindrücklich, dass es möglich ist: Trotz aller Unterschiede zusammenzustehen und die Welt ein bisschen besser zu machen.
Meinen tiefen Respekt und grossen Dank dafür haben sie.
P.S.: Hier mein Plädoyer für die Annahme unseres Geschäfts im Kantonsrat (Video; ab 11:06:42)
Bild: Interreligiöser Corona-Gedenkgottesdienst in Zürich im Jahr 2021 (Foto PD)
Sehr geehrte Frau Fehr
Ihr Artikel hat mich tief beeindruckt und inspiriert. Ihre Worte zeichnen ein kraftvolles Bild einer Zukunft, in der das friedliche Zusammenleben nicht nur eine Hoffnung, sondern eine gelebte Realität wird. Der von Ihnen beschriebene historische Entscheid ist ein bedeutender Meilenstein für unsere Gesellschaft und zeigt eindrucksvoll, wie viel durch Dialog, Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung erreicht werden kann.
Als Imam und Seelsorger, der mit VIOZ und QuaMS arbeitet, erlebe ich täglich, wie wichtig Initiativen wie diese sind. Die Unterstützung der Zürcher Kirchen für nicht anerkannte Religionsgemeinschaften ist nicht nur ein Ausdruck von Grosszügigkeit, sondern auch ein Vorbild dafür, wie Respekt und Solidarität zwischen unterschiedlichen Glaubensrichtungen gelebt werden können. Dieses Zeichen macht Mut und schenkt Hoffnung – insbesondere in einer Welt, die oft von Spaltung und Vorurteilen geprägt ist.
Es wäre mir eine grosse Freude, diesen Weg mit Ihnen und allen engagierten Akteuren weiterzugehen, um unsere Gesellschaft positiv zu gestalten.
Ich danke Ihnen herzlich dafür, dass Sie diese wichtige Botschaft mit Ihrem Artikel verbreitet haben.
Mit grossem Respekt und herzlichen Grüssen,
Kaser Alasaad