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Eine Krise – aber kein Absturz

22. April 2025 1 Kommentar

Der Zustand der Welt macht Sorgen. Vieles, was uns als gesichert und gefestigt erschien, ist ins Rutschen geraten. Wir befinden uns in einer weltweiten Demokratiekrise. Aber was heisst «Demokratiekrise»? Ich finde: Beschwichtigungen werden der Realität genau so wenig gerecht wie apokalyptische Beschwörungen. Weil Austausch und Diskussion gerade in schwierigen Zeiten so wichtig sind, habe ich ein paar Gedanken aufgeschrieben. Hier folgt Teil 1.

«Die Demokratie ist lebendiger geworden»: Unter diesem Titel hat sich der Chefredaktor der NZZ, Eric Gujer, jüngst seitenfüllend zur «Mär der gefährdeten Demokratie» geäussert. Der Demokratie gehe es «so gut wie lange nicht mehr», findet Gujer. Endlich sei «die Zeit des alternativlosen Einheitsbreis vorbei».

Das «Jammern über den Zustand der Demokratie» stört den Chefredaktor nicht nur, weil er dazu keinen Anlass sieht. Hinzu kommt, dass ihn die «Industrie von ‘Demokratie-Experten’» ärgert, die sich – im Auftrag und mit Mitteln der öffentlichen Hand – diesem Zustand annehmen. Es handle sich dabei um einen regelrechten «Förderexzess» – und zwar einen Exzess mit politischer Schlagseite: Die Demokratieverteidiger:innen würden sich «immer gegen rechts» richten.

Ich gehe in einem Punkt mit Eric Gujer einig: Auch ich finde dieses Jammern – beziehungsweise die mitunter geradezu apokalyptische Rhetorik, mit der die Krise der Demokratie beschworen wird – unangemessen.

Damit ist es aber auch schon vorbei mit der Harmonie. Die Gründe, weshalb ich mich mit Superlativen zurückhalte, wenn es um die Schilderung der Weltlage geht, sind so ziemlich das Gegenteil der Gründe des NZZ-Chefs.

Das beginnt schon bei den Prämissen: Anders als Eric Gujer, der sich an der Weltlage zu erfreuen scheint, bereitet sie mir grosse Sorgen. Es gibt nichts schön zu reden und schon gar nichts zu verharmlosen. Die Lage ist ernst. Wir erleben gerade eine Art multiplen Backlash – einen Backlash punkto Demokratiequalität, punkto Gesellschafts-, Klima-, Migrations- und Friedenspolitik, bezüglich der Verbindlichkeit und Durchsetzungskraft unserer Werte, bezüglich Verlässlichkeit und (siehe Zollpolitik) Rationalität. Man könnte ganz generell sagen: Wir erleben einen Backlash bezüglich unseres Zivilisationsgrads.

Wille, Einsatz, Arbeit

Dass ich mich trotzdem dagegen wehre, von einem «Weltenbrand», von der «grössten Krise der Demokratie» und einer «hoffnungslosen Lage» zu reden (alles Formulierungen, die mir in den letzten Wochen in den Medien begegnet sind), liegt daran, dass ich unbeirrt daran glaube, dass sich die Verhältnisse entwickeln und gestalten lassen. So simpel es tönt: Wir müssen es einfach wollen. Emanzipation geschieht durch Wille. Und dann durch Einsatz und Arbeit.

Hier liegt eine entscheidende Differenz zwischen Links und Rechts. Linke wissen aus historischer Erfahrung, dass Veränderung möglich ist – und zwar auch ohne institutionelle Macht, sondern mit der Kraft des zivilgesellschaftlichen Engagements.

Rechte sind es sich dagegen gewohnt, Macht zu besitzen und diese top-down anzuwenden.

Und was, wenn die zur Verfügung stehende Macht nicht ausreicht, um das erwünschte Resultat zu erzielen? Immer wieder führte und führt die Erfahrung eines solchen Machtversagens dazu, dass die Betroffenen zur Kompensation Gewalt anwenden. Es gibt allerdings auch eine harmlosere Reaktion auf die Einsicht in die eigene Machtlosigkeit: Es ist die Appeasement-Strategie. Man knickt ein und beginnt die Realität schönzureden. Diese Unterwerfungshaltung ist hier bei uns grad aktuell ziemlich verbreitet. Dass die Bundespräsidentin die Rede von US-Vizepräsident J. D. Vance in München als «sehr liberal» und «sehr schweizerisch» bezeichnet hatte, ist ein Beispiel unter mehreren.

Dabei haben die Appeasement-Rhetorik auf der einen und die Klage über den dystopischen «Weltenbrand» auf der anderen Seite etwas Entscheidendes gemeinsam: Beide spielen den Treibern des Backlashs in die Hände. Wer findet: «Alles halb so wild» – der verniedlicht die Verhältnisse, verharmlost die Probleme und fördert so die Passivität. Wer die Welt im apokalyptischen Vollbrand sieht, dramatisiert so stark, dass eine Lähmung eintritt.

In beiden Fällen wird das Potenzial für konstruktive Veränderungen stillgelegt. Und das heisst dann: Freie Fahrt fürs Abbruchkommando.

Was die Geschichte lehrt

Es gibt einen weiteren Grund, weshalb ich der Diagnose einer superlativen Krise der Demokratie widerspreche. Dieser Grund ist die Geschichte.

Die Ignoranz gegenüber demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien, die Respektlosigkeit gegenüber den Institutionen, den Traditionen, der politischen Kultur und sogar der Verfassung, wie sie die neuen Machthaber in Washington vorexerzieren – sie sind so frivol wie fatal. Aber sie sind weder superlativ noch historisch einzigartig.

Wir erleben aktuell eine Demokratiekrise, aber wir erleben keinen Demokratieabsturz, wie es ihn 1933 mit der Zerstörung der Weimarer Republik gegeben hat. Jener Absturz und der nachfolgende Genozid: Sie waren singulär.

Unsere aktuelle Krise dagegen steht in einer Reihe mit anderen Krisenfällen, und man muss gar nicht so tief in die Geschichte eintauchen, um solche zu finden. Der Blick auf frühere Krisen ist wichtig – weil er uns erkennen lässt, auf welchen Wegen und mit welchen Strategien sich Demokratiekrisen überwinden lassen.

«Hängt ihn!»

Erhellend ist beispielsweise der Blick zurück auf die Ära des Kalten Kriegs – beziehungsweise auf die Brutalität und rechtsstaatliche Ignoranz, mit denen das bürgerliche Juste-Milieu abweichende Meinungen verfolgt und sanktioniert hatte. Auch und gerade in unserem eigenen Land.

Ein paar wenige Beispiele: Im November 1956 rottete sich ein Mob von mehreren hundert Personen vor dem Haus des Kunsthistorikers Konrad Farner in Thalwil zusammen und skandierte «Hängt ihn!». Farner gehörte zu den Vordenkern der «Partei der Arbeit», was die NZZ vor dem Hintergrund des sowjetischen Einmarschs in Ungarn zum Anlass genommen hatte, um Farners Privatadresse zu publizieren und maliziös zu bemerken, vielleicht könne ja «Dr. Konrad Farner» zu den Vorgängen in Ungarn «Auskunft geben».

In den späten 70er-Jahren wurde eine Sekundarschullehrerin in einer Zürichsee-Gemeinde wegen «Obszönität und subversiver Tendenz» entlassen. Ihr Vergehen: Sie hatte mit ihren Schüler:innen das Büchlein eines linken Schweizer Schriftstellers gelesen.

Und schliesslich mussten Tausende von jungen Männern für mehrere Monate, in Einzelfällen gar für über ein Jahr ins Gefängnis, weil sie den Militärdienst verweigert hatten. Kein Land bestrafte Dienstverweigerer so hart wie die Schweiz. Und es blieb nicht bei der Gefängnisstrafe: Verweigerer wurden als Lehrer oder Verwaltungsangestellte entlassen; die Behörden entzogen ihnen Stipendien und machten ihnen auch sonst das Leben schwer.

Gesinnungsschnüffelei und «Subversivenjagd»

Hinzu kam eine Kultur der Gesinnungsschüffelei und des Denunzierens. Die Bundespolizei fichierte das angeblich staatszersetzende Tun von Abertausenden von Linken.

Gleiches taten selbsternannte private «Subversivenjäger» wie Ernst Cincera. Mit verheerenden Folgen: Cincera verunglimpfte die bei ihm registrierten Personen bei Wirtschaft und Verwaltung (welche ihrerseits gerne bei Cincera Erkundigungen einholten). Es gab Entlassungen, Karrieren brachen ab oder kamen gar nie in Fahrt, weil der oder die Betroffene keinen Job erhielt – und das alles auf der Basis von bösartigen Gerüchten, Unterstellungen und Behauptungen.

Dabei befand sich die Schweiz in guter Gesellschaft. Auch andere Länder der westlichen Welt waren im Kalten Krieg ungeniert bereit, ihre freiheitlichen Prinzipien dem ideologischen Kräftemessen zu opfern. Deutschland praktizierte zum Beispiel den Radikalenerlass.

In den USA fanden derweil während der McCarthy-Ära eigentliche Hexenjagden statt. Im Sog des um sich greifenden Anti-Kommunismus’ wurden Linke zur Bedrohung und zu «roten Faschisten» gestempelt. Namentlich die Angestellten der amerikanischen Bundesbehörden standen unter Generalverdacht. Mit der Folge, dass auf der Basis einer Executive Order des US-Präsidenten eine Überprüfung der politischen Loyalität von drei Millionen Staatsangestellten stattfand. Sie mündete in die Entlassung von über tausend Personen. Angebliche Staatsfeinde wurden gejagt, verhaftet und verurteilt. Führende Politiker brachten aktiv Verschwörungstheorien in Umlauf.

Wie gelang es, diese Phase der demokratischen und rechtsstaatlichen Krise zu überwinden?

Lesen Sie dazu Teil 2 meines Blogs

Bild: «Die Demokratie ist lebendiger geworden», findet NZZ-Chefredaktor Eric Gujer.

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Kategorie: Blog Tags: Push

Reader Interactions

Kommentare

  1. Jose Antonio Gordillo Martorell schrieb

    22. April 2025 um 16:49

    Ihr Artikel ist wirklich interessant. Die Geschichte ist ein Lehrmeister, und wie renommierte Historiker wie Geoff Eley gezeigt haben – im Gegensatz zu dem, was Herr Gujer glaubt – wurde die Demokratie in Europa nicht von oben gewährt, sondern ab 1850 von unten geschmiedet, hauptsächlich durch Arbeiterbewegungen, sozialistische Parteien und linken Aktivismus. Im Gegensatz zu traditionellen Darstellungen, die liberalen Eliten den Vorzug geben, zeigt er, wie die Linke das allgemeine Wahlrecht, Arbeitnehmerrechte, Wohlfahrtsstaaten und soziale Gerechtigkeit durchsetzte.

    Ich möchte zwei grundlegende Fragen in die Diskussion einbringen: Welche Rolle spielen junge Menschen heute bei der Verteidigung der Demokratie (die Beispiele Serbien, Türkei oder Harvard sind recht anschaulich) und welchen Einfluss hat die KI auf unsere Vorstellung von Demokratie. Ich freue mich darauf, die nächsten Teile zu lesen!

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