
Zürich geht bei der Unterstützung von Kulturschaffenden den unbürokratischen Weg. Das freut mich. Doch eine Frage lässt mich nicht los: Warum eigentlich sind anti-bürokratische Tiraden so viel verbreiteter als konkrete anti-bürokratische Schritte?
Die Frage, wie der Staat in Pandemiezeiten Kulturschaffende unterstützen kann, ist seit ein paar Wochen meine stete Begleiterin. Dass wir in der Zürcher Regierung nun einem pauschalisierten Modell eine Chance geben, freut mich sehr. Damit bringen wir unsere Entschlossenheit zum Ausdruck, rasche, unbürokratische und effiziente Hilfe zu leisten.
Die Suche nach einem einfachen Unterstützungsmodell war ein etwas kurviger, aber faszinierender Weg. Ich habe einiges über das Wesen der Bürokratie gelernt.
In der Hitparade der beliebtesten Adressatinnen für Schimpftiraden aller Art, hat «die Bürokratie» ja einen Podestplatz auf sicher. Wobei das Bürokratie-Bashing besonders auf der rechten Seite auf viel Sympathie stösst. Im «Mehr Freiheit, weniger Staat»-Lager gilt die «böse» Bürokratie als Antipode des «guten» freien Markts.
«Not amused»
Nun bin ich überhaupt nicht der Ansicht, es gebe keinen Anlass zu Kritik an öffentlichen Verwaltungen. Die schöne Vorstellung des Soziologen Max Weber, wonach die staatliche Bürokratie der «reinste Typus der legalen Herrschaft» sei – dieses Ideal ist nicht ganz deckungsgleich mit der realen staatlichen Bürokratie.
Ein bisschen überrascht hat mich hingegen, wie das Lager der rechten Bürokratie-Kritiker (mehrheitlich) auf unser Modell reagiert hat, mit dem wir Kulturschaffende unbürokratisch unterstützen wollen. Nämlich «not amused». Unsere Ambition ist, den Corona-gebeutelten Kulturschaffenden unter klaren, transparenten und fairen Bedingungen zu einem Ersatzeinkommen zu verhelfen. Die Gegner reagierten darauf, indem sie wider besseres Wissen den falschen Begriff des «bedingungslosen Grundeinkommens» über die Idee stülpten – in der Hoffnung, diese mit dem ideologisch belasteten Schlagwort bodigen zu können.
Wer mit anti-bürokratischer Rhetorik hausiert, steht also nicht automatisch auf der Supporterseite, wenn es um konkrete Schritte zum Bürokratie-Abbau geht. Das mag auf den ersten Blick erstaunen.
Aber nur auf den ersten Blick… Denn: Sich öffentlich über angebliche oder tatsächliche Exzesse der Bürokratie zu mokieren, ist einfach und ohne Risiko – der Applaus ist garantiert. Sich real um weniger Bürokratie zu bemühen, ist dagegen weniger einfach und entschieden riskanter.
Eine Fata Morgana
Das ist nur schon deshalb so, weil der Gegensatz zwischen dem angeblich monströsen, bürokratischen Staat und dem angeblich schlanken, effizienten Markt zwar oft bemüht wird – dadurch aber nicht richtiger wird. Er ist und bleibt eine Fata Morgana.
Bürokratische Strukturen und Prozesse sind längst nicht mehr eine Exklusivität der öffentlichen Verwaltung. Vielmehr wuchert die Bürokratie immer mehr auch in der Privatwirtschaft. Dazu gibt es diverse Untersuchungen. Diese sind sozusagen die objektivierte Form dessen, was mir Mitarbeiter erzählen, die aus der Privatwirtschaft in die öffentliche Verwaltung gewechselt haben. Es sei enorm, welchen Aufwand sie bei ihren privaten Arbeitgebern für das Evaluieren, Administrieren, Datenerfassen und Kontrollieren hätten betreiben müssen. Umso mehr freuen sie sich über die Lust am Experiment und das Vertrauen, das sie beim Staat antreffen.
Eigenverantwortung und eine Fehlerkultur
Und was ist der Grund für die flächendeckende Ausbreitung der Bürokratie? Fachleute sind sich einig: Es sind die Angst vor Fehlern und die Scheu vor dem Risiko. Öffentliche wie private Einrichtungen und ebenso deren ChefInnen wollen gegen jede Eventualität abgesichert sein – das Symbol dafür sind die Disclaimer, die in vielen Mails länger sind als der Mailtext selber.
Was das bedeutet, hat die NZZ auf den Punkt gebracht: «Diese Vollkasko-Mentalität, die viele Reglemente, aber keine Fehlerkultur mehr kennt, hat Folgen, die über die Effizienzverluste und die unmittelbaren Kostensteigerungen hinausreichen: Eingeschränkt werden nämlich die liberalen Kardinaltugenden der Mitarbeitenden wie Eigenverantwortung, intrinsische Motivation, Expertise und gesunder Menschenverstand. Und damit wird letztlich auch der Mechanismus ausgehebelt, der laut dem Soziologen Niklas Luhmann die Komplexität in modernen Gesellschaften wie in Firmen erst reduziert – das Vertrauen.»
Wer wirksam die Bürokratie eindämmen will, muss sich für eine konstruktive Fehlerkultur einsetzen, die Eigenverantwortung stärken und Vertrauen geben. Das ist aufwändiger und anspruchsvoller, als mit wohlfeiler Rhetorik Stimmung zu machen. Aber es lohnt sich.
Foto: Weniger Bürokratie bedeutet weniger Akten, weniger Aufwand, mehr Effizienz (Bild Pixabay)
Von Herzen Danke für Ihr Engagement zugunsten der Kulturschaffenden! So stelle ich mir Politik in einem Exekutivgremium eigentlich vor: Probleme erkennen – Lösungen finden. Sie haben mit Ihrer Aktion einen Lichtstrahl in das unsäglich dunkle Trauerspiel “Umgang mit einer Pandemie” gebracht. Ich wünsche Ihnen weiter viel Kraft und Mut für Ihre Arbeit.