
Letzte Woche war ich einige Tage am Weltwirtschaftsforum. Das WEF ist ein Sowohl-als-auch-Anlass: sowohl Teil des Problems als auch Teil der Lösung. Wobei das «Team Lösung» – entgegen aller medialen Untergangsbeschwörungen – das stärkere ist. Ich war deshalb bei der Abreise aus Davos entschieden hoffnungsvoller als bei der Ankunft dort.
Es war ein WEF in besonderen Zeiten, eröffnet am Tag, an dem in den USA der neue Präsident vereidigt worden war. Der neue Präsident und die Frage, was dieser für die Welt bedeuten wird, war denn auch das überragende Thema in Davos.
Vor diesem Hintergrund offenbarte sich das widersprüchliche Wesen der Davoser Grossveranstaltung in seltener Klarheit. Das WEF – das ist einerseits Sinnbild für die Probleme unserer Welt. Und es ist gleichzeitig Sinnbild für die Lösungen, mit denen dieser Welt zu helfen wäre.
Ich beginne bei den Problemen, die das WEF symbolisiert. Der deutsche Soziologe Andreas Reckwitz beschreibt diese Probleme in seinem neuen Buch «Verlust». Da ist erstens der Umstand, dass im späten 20. Jahrhundert der globalisierte, neoliberale Wettbewerbsstaat den national regulierten Wohlfahrtsstaat abgelöst hatte, was für viele Menschen mit einem Verlust an sozialer Sicherheit verbunden war.
Zweitens vertritt die (neo-)liberal dominierte Politik ausgeprägt «die Interessen und Werte von Bevölkerungskreisen mit hohem ökonomischem und kulturellem Kapital». Dementsprechend sind diese Bevölkerungskreise in den Parteien und Parlamenten deutlich überrepräsentiert. Alle anderen – und dabei insbesondere die sozial schwächeren, vom globalisierten Wettbewerb ganz besonders herausgeforderten Menschen – verlieren dagegen an Sichtbarkeit. Im Blickfeld des liberalen Polit-Establishments stehen sie – wenn überhaupt – ganz am Rand.
Leichtes Spiel
Wenn sich also die WEF-Teilnehmenden fragen, wohin sich die Welt unter dem neuen US-Präsidenten bewegen wird – dann wäre ein bisschen Selbstkritik nicht schlecht. Es war schliesslich die Überheblichkeit der neoliberalen Elite, welche den Aufstieg von Populisten erst möglich gemacht hat. Diese hatten leichtes Spiel, nachdem so vielen Menschen erstens ihr soziales Sicherheitsgefühl und zweitens ihre politische Orientierung abhandengekommen war.
Dass es sich bei den Populisten, die sich mit ihrer Anti-Establishment-Rhetorik als Verbündete der sozial Schwachen inszenieren, selber ausgerechnet um schwerreiche Establishment-Exponenten handelt (Trump und Blocher sind in dieser Hinsicht Zwillingsbrüder): Das mag man als schlechten Witz empfinden. Sich daran zu stören, bringt uns aber keinen Schritt weiter.
Mutig, klug und kreativ
Dass in Davos die Spitzen von Politik und Big Business Jahr für Jahr in halb oder ganz geschlossenem Rahmen ihre ungute Nähe pflegen und sich gegenseitig den Hof machen – und damit exakt das tun, was dem Ansehen der Politik so schadet: Das ist der Problemteil des WEF, den wir nicht aus den Augen verlieren sollten.
Genau so wenig dürfen wir aber vergessen, dass damit nur eine Seite angesprochen ist. Es gibt eben auch das «andere», das (selbst-)kritische, um Weitsicht und Teilhabe bemühte WEF. Auch dieses habe ich erlebt – und es hat mich beeindruckt.
Dabei ging es nicht zuletzt um die oben beschriebenen Probleme: um die Rolle der Eliten, die Kraft des Populismus und die Frage, wo und wie man Gegensteuer geben kann. Einfache Lösungen gibt es nicht. Nötig sind in jedem Fall Entschlossenheit, Mut, Prinzipientreue, Kreativität und Klugheit.
Die gute Nachricht ist: Ich habe in Davos zahlreichen Menschen zugehört, die genau diese Eigenschaften verkörpern. Es fehlt weder an entschlossenen, mutigen, prinzipientreuen und kreativen Menschen noch an klugen Ideen. Im Gegenteil: Das WEF hat einmal mehr gezeigt, dass es auf der ganzen Welt viele, viele Menschen gibt, die ernsthaft und erfolgreich an einer besseren Welt arbeiten. Es gibt sie in der Politik, in der Wissenschaft, bei den zivilgesellschaftlichen Organisationen und auch in den Unternehmungen. Das «Team Lösung» war auch in Davos deutlich stärker als all jene, welche die Verschiebungen in Washington und anderswo als Chance sehen, um ihre männlichen, weissen, neoliberalen Privilegien wieder ausbauen zu können.
Damit ist das WEF auch ein Ort der Ermutigung. Er lässt einen spüren, dass man nicht allein ist im Bemühen um eine weitsichtigere und menschenfreundlichere Politik. Und dass es sich lohnt, sich dafür einzusetzen, dass die Inhalte dieser Politik Macht und Kraft entwickeln können.
Darum möchte ich hier zwei Botschaften aus dem WEF-Umfeld weiterverbreiten: zwei Botschaften, die es (stellvertretend für viele weitere, ebenfalls konstruktive Botschaften) verdienen, dass sie ein breites Publikum finden.
Höhere Steuern für Superreiche
Da ist einmal der renommierte Yale-Historiker Timothy Snyder, der am WEF referiert und dem «Tages-Anzeiger» ein Interview gegeben hatte. Snyder sprach dort – mit Blick auf die USA – von der Gefahr, die von milliardenschweren Oligarchen ausgeht, wenn diese in die Politik einsteigen. Er rät: «Europa sollte tun, was wir in den USA versäumt haben, zum Beispiel viel strengere Vorschriften für soziale Medien einführen. Die Vermögenswerte internationaler Oligarchen sollten genauer geprüft werden. Gesetze müssen ohne Ausnahme durchgesetzt werden – unabhängig davon, wie reich oder mächtig jemand ist.»
Für Snyder ist auch klar, wie sich die Konzentration von Reichtum und Einfluss bekämpfen liesse: «Durch Steuern auf hohe Vermögen. Und indem Staaten international zusammenarbeiten, um zu verhindern, dass Vermögenswerte versteckt werden. In der Praxis erheben die USA unverhältnismässig hohe Steuern von der Mittelschicht und den Armen. Unser Steuersystem wird unter Trump wahrscheinlich noch mehr in diese Richtung gehen, aber im Prinzip ist der Staat dazu da, die Reichsten zur Kasse zu bitten.»
Genau dies haben in Davos ausgerechnet diese Reichsten selber gefordert: 370 Millionäre und Milliardärinnen haben einen offenen Brief an die Staats- und Regierungschefs der Welt geschrieben. Darin fordern sie höhere Steuern für sich selber. Vertreterinnen und Vertreter der Absender haben den Brief am Rand des WEF vorgestellt. Im Brief heisst es, extremer Reichtum sei eine Gefahr für die Demokratie. Die Lösung sei einfach und schnell: «Sie müssen uns, die Superreichen, besteuern.»
Bild: Das Weltwirtschaftsforum Davos – auch ein Ort der Ermutigung. (Foto PD)
Danke, Frau Fehr, für Ihren brillanten und ermutigenden Artikel. Der Lärm und die Wut der Populisten und ihrer Tentakel in den sozialen Medien verzerren die Realität. Und die Realität ist, wie Sie zu Recht sagen, viel komplexer, vielfältiger und hoffnungsvoller. Ich denke, eine der Herausforderungen, die wir Progressiven vor uns haben, besteht darin, Räume, Beziehungen, Organisationen und Umgebungen zu schaffen, in denen wir die Aufmerksamkeit zurückgewinnen können, die zu einer rein extraktiven Ware geworden ist, bei der wir uns alle wie Hamster im Rad von Musk, Zuckerberg und so weiter verhalten. Chris Hayes spricht in seinem neuesten Buch „The Siren’s Call“ auf brillante Weise darüber. Eine progressive Politik der Aufmerksamkeit, bei der wir unsere Freiheit zurückgewinnen, zu entscheiden, was und wem wir unsere Aufmerksamkeit widmen wollen.